"Gegengutachten" von TERRE DES FEMMES unter juristischer Lupe


Das Rechtsgutachten der Hamburger Kanzlei RKA Rechtsanwälte vom 4. September 2022 analysiert auf 28 Seiten das Fehlverhalten des TDF-Vorstands und kommt zu dem Ergebnis: der Rumpf-Vorstand (Geschäftsführerin Christa Stolle und die beiden Vorständinnen Godula Kosack und Carmen Schiller) sei für fortgesetzte Rechts- und Satzungsverstöße verantwortlich und habe ein "feudales Grundverständnis seiner Handlungsmacht".

Am 28. September 2022 präsentiert der TDF-Vorstand eine lediglich 4-seitige "Rechtliche Stellungnahme für TERRE DES FEMMES zur Rechtmäßigkeit des Beschlusses vom 10./11. August 2022", verfasst von der Rechtsanwältin der 3 Vorständinnen. In dieser Stellungnahme geht es darum, zu rechtfertigen, warum die "Rücknahme" des Vorstandsbeschlusses vom 6. Juli 2022 rechtmäßig sei. 

 

Zum Hintergrund: Am 6. Juli 2022 hatten drei von fünf Vorständinnen beschlossen, die TDF-Position zum Thema Transgender zurückzunehmen und das entsprechende Positionspapier von der TDF-Website zu entfernen. Aufgrund der anhaltenden massiven Proteste aus der Mitfrauenschaft nahmen die drei Vorständinnen diesen Beschluss jedoch am 10./11. August 2022 zurück, "distanzierten" sich allerdings von der Position und hielten das Positionspapier weiterhin von der Website zurück, was nach wie vor einer faktischen Rücknahme der Vereinsposition gleichkommt.

Richterin a.D. Eike Weißenfels, TDF-Mitfrau und eine der saveTDF-Koordinatorinnen ordnet diese Stellungnahme der Rechtsanwältin der drei Vorständinnen juristisch ein: 


Stellungnahme zum Gutachten der Rechtsanwältin der 3 Vorstandsfrauen - von Richterin a.D. Eike Weißenfels am 12. Oktober 2022

Die rechtliche Stellungnahme von Frau [...] vom 28.9.2022 kann weder im Ergebnis noch in der Begründung überzeugen.

 

Die Stellungnahme verhält sich zunächst zur formellen Wirksamkeit des Beschlusses des Vorstands vom 10./11.08.2022. Insoweit ist nichts anzumerken. Das Gleiche gilt hinsichtlich der Ausführungen zur Rücknahme des Beschlusses des Vorstands vom 06.07.2022.

 

Die rechtliche Würdigung der Rechtmäßigkeit zu Punkt 2 des Beschlusses vom 10./11.08.2022 (Distanzierung des Vorstands vom Positionspapier „Transgender, Selbstbestimmung und Geschlecht“ und Anweisung an die Geschäftsführung, das Positionspapier von der Webseite zu entfernen) ist dagegen schlichtweg unhaltbar.

 

Die Rechtmäßigkeit wird folgendermaßen begründet:

1. Die Erklärung, dass sich der Vorstand vom Positionspapier distanziere, stelle eine inhaltliche Positionierung des Vorstands dar, eine Meinungsäußerung, zu der der Vorstand (mehrheitlich) berechtigt sei.

2. Die Distanzierung erfolge im Rahmen der dem Vorstand zugewiesenen Leitung der Vereinsarbeit im Sinne des § 9 Abs. 5 der Satzung.

3. Die Distanzierung vom Positionspapier sei erforderlich, um die inhaltliche und die Projektarbeit des Vereins nicht zu gefährden; es sei dem Vorstand nicht nur erlaubt, sondern es sei wohl seine Pflicht gewesen, deutlich zu machen, dass er potentiell transfeindliche Positionen nicht teile.

4. Die Distanzierung greife nicht in die Kompetenz der Mitgliederversammlung ein, das Positionspapier sei eine Verlautbarung der Mitgliederversammlung und bleibe als Ausdruck einer thematischen Positionierung der Mitgliederversammlung als solches bestehen. 

5. Es bestehe keine Pflicht des Vorstands, das Positionspapier auf der Webseite des Vereins zu veröffentlichen.

 

Zu 1.:

Es trifft zu, dass die Erklärung des Vorstands, er distanziere sich von dem Positionspapier, eine Meinungsäußerung darstellt. Zwar ist den einzelnen Vorstandsmitgliedern nicht das Recht abzusprechen, ihre Meinung zu äußern. Dies bezieht sich indes lediglich auf privat getätigte Meinungsäußerungen. Äußert sich der Vorstand, wie vorliegend, als Vertretung von TDF, ist er inhaltlich an die Beschlüsse der Mitgliederversammlung gebunden. Dies ergibt sich aus § 9 Abs. 5 der Satzung, wonach allen Vorstandsfrauen die Umsetzung von Beschlüssen der Mitgliederversammlung obliegt.

 

In der Distanzierung des Vorstands vom Positionspapier liegt nicht nur keine Umsetzung des Beschlusses der Mitgliederversammlung vom 12.09.2020, bestätigt in der diesjährigen Mitgliederversammlung, sondern eine vorsätzliche und gezielte Missachtung des mehrheitlichen Willens der Vereinsmitglieder, die von der in Anspruch genommenen Meinungsfreiheit nicht gedeckt ist.

 

Zu 2.:

Zu Unrecht wird das Handeln des Vorstands damit gerechtfertigt, der Vorstand handele im Rahmen der ihm zugewiesenen Leitung der Vereinsarbeit.

 

Zwar ist es zutreffend, dass gemäß § 9 Abs. 5 Satz 1 der Satzung dem Vorstand die verantwortliche Leitung der Vereinsarbeit zugewiesen wird. Durch die bereits genannte Regelung, dass der Vorstand verpflichtet ist, die von der Mitgliederversammlung gefassten Beschlüsse umzusetzen, wird klargestellt, dass diese Vorrang haben und vom Vorstand bei der Leitung der Vereinsarbeit zu beachten sind.

 

Dies entspricht im Übrigen der Regelung des § 32 Abs. 1 Satz 1 BGB, wonach die Angelegenheiten des Vereins, soweit sie nicht vom Vorstand oder einem anderen Vereinsorgan zu besorgen sind, durch Beschlussfassung in einer Versammlung der Mitglieder geordnet werden.

 

Diese Regelung gilt gemäß § 40 Satz 1 BGB nicht, wenn die Satzung etwas anderes bestimmt.

 

Die Satzung von TDF enthält eine solche abweichende Regelung nicht. Im Gegenteil. 

 

So bestimmt § 9 Abs. 5 Satz 2 der Satzung, dass der Vorstand für alle Angelegenheiten des Vereins zuständig ist, solange diese nicht in die Zuständigkeit eines anderen Organs fallen. 
§ 8 Abs. 1 Satz 1 der Satzung stellt klar, dass die Mitfrauenversammlung das oberste Organ des Vereins ist. Hieraus folgt, dass im Zweifel die Entscheidungen der Mitgliederversammlung gelten. 

 

Darüber hinaus bestimmt § 8 Abs. 2 lit. a der Satzung ausdrücklich, dass zu den Aufgaben der Mitfrauenversammlung die Bestimmung der Arbeitsschwerpunkte von Terre des Femmes gehört. Sollte das Positionspapier tatsächlich dazu führen, dass die derzeitige inhaltliche Arbeit und die Projektarbeit des Vereins gefährdet seien, weil andere Gruppen die Zusammenarbeit mit TDF einstellen, wäre es ureigenste Aufgabe der Mitgliederversammlung, die künftige Arbeit von TDF gegebenenfalls neu zu justieren.

 

Für seine diesbezügliche Behauptung hat der Vorstand im Übrigen bisher nichts Schlüssiges vorgebracht.

 

Die rechtliche Stellungnahme beruft sich zu Unrecht auf die Entscheidung des Oberlandesgerichts vom 28.08.2017 (20 W 18/17).

 

Zwar hat das Gericht in diesem Fall entschieden, dass der Vorstand und nicht die Mitgliederversammlung die strittige Frage zu entscheiden habe. Nach der Satzung des dortigen Vereins hatte indes der Vorstand über „alle ideellen, sportlichen, wirtschaftlichen und strategischen Belange“ zu entscheiden. Dem vom OLG Celle entschiedenen Fall lag somit ein gänzlich anderer Sachverhalt zugrunde. Insbesondere lässt sich die gerichtliche Bewertung des damaligen Falles nicht auf TDF übertragen. 

 

Zu 3.:

Aus den obigen Ausführungen ergibt sich, dass der Vorstand sich zu Unrecht auf eine Pflicht beruft, sich letztendlich von dem beschlossenen Positionspapier zu distanzieren. Dies ist geradezu abwegig.

 

Die Missachtung der mehrheitlich gefassten Beschlüsse der Mitfrauen stellt sich vielmehr als andauernder Verstoß gegen grundlegende demokratische Regeln dar, indem sich der Vorstand anmaßt, sich über die Entscheidungen der Mitfrauen hinwegzusetzen, um seiner eigenen abweichenden Meinung Geltung zu verschaffen.

 

Nur am Rande sei die Aufmerksamkeit darauf gelenkt, dass in der rechtlichen Stellungnahme von „potentiell transfeindlichen Positionen“ (des Positionspapiers) die Rede ist. Soll für die Auslegung des Positionspapiers die Meinung Dritter, und wenn ja, wessen Meinung maßgeblich sein?

 

Zu 4.:

Unhaltbar ist die Ansicht, die Distanzierung greife nicht in die Kompetenz der Mitgliederversammlung ein.

 

Wie bereits ausgeführt, hat die Mitgliederversammlung unstreitig einen mehrheitlichen Beschluss gefasst. In der rechtlichen Stellungnahme wird versucht, die Bedeutung der Entscheidung dadurch herabzusetzen, dass es sich bei dem beschlossenen Papier lediglich um eine „Verlautbarung“ handele. Eine rechtliche Relevanz ergibt sich aus dieser Umbenennung nicht. Es bleibt bei der Tatsache, dass die Mitgliederversammlung sich durch einen Beschluss positioniert und zu einem sowohl gesellschaftlichen als auch insbesondere Frauen betreffenden Thema geäußert hat.

 

Zu 5.:

Entgegen der in der rechtlichen Stellungnahme vertretenen Ansicht steht es dem Vorstand nicht zu, eigenmächtig zu entscheiden, dass das Positionspapier von der Webseite von TDF entfernt wird. 

 

Wie im Gutachten selbst ausgeführt wird, ist es üblich, Verlautbarungen auf der Webseite zu veröffentlichen.

 

In der Mitgliederversammlung wurde zwar nicht ausdrücklich darüber abgestimmt, dass das Positionspapier auf der Webseite von TDF zu veröffentlichen sei. Mit der Bestätigung des Positionspapiers in der letzten Mitfrauenversammlung ist einmal mehr deutlich gemacht worden, dass die Mehrheit der Frauen an der beschlossenen Position festhält. Die Umsetzung dieses Beschlusses kann nur darin bestehen, dass das Papier, wie sonst üblich, auf der Webseite veröffentlicht wird. Die Weigerung, das Positionspapier wieder auf die Webseite zu stellen, dient allein dem Bestreben des Vorstands, die Beschlüsse der Mitfrauenversammlung zu unterlaufen. Hierzu ist der Vorstand nicht berechtigt.

 

Insoweit ist es auch unerheblich, dass das Positionspapier nicht in einer spezialisierten Arbeitsgruppe erarbeitet worden ist. Wie bereits ausgeführt, ist die Mitfrauenversammlung nach § 8 Abs. 1 Satz 1 der Satzung das oberste Organ des Vereins TDF. Die Bedeutung ihrer Beschlüsse steht daher den Ergebnissen von Arbeitsgruppen in keiner Hinsicht nach.

 

Zusammenfassung

Die Beschlüsse des Vorstands vom 10./11.08.2022 sind rechtswidrig. Sie verstoßen gegen die satzungsmäßigen Rechte der Mitfrauen.

 

Es ist sicher zutreffend, dass das Positionspapier innerhalb des Vereins umstritten ist. Hierüber hat indes bereits zwei Mal eine ausgiebige Diskussion stattgefunden, nach der abgestimmt wurde. Das Abstimmungsergebnis ist von denen, die bei der Abstimmung unterlegen sind, zu akzeptieren. Erst recht gilt dies für den Vorstand als lediglich ausführendes Organ.

 

Es kann dahinstehen, ob das Positionspapier von anderen gesellschaftlichen Gruppen kritisiert oder gar zum Anlass genommen wird, TDF anzufeinden. Art. 9 Abs. 1 GG garantiert als Ausdruck einer pluralistischen Gesellschaft das Recht, Vereine zu bilden, deren Zweck zu bestimmen und zu entscheiden, was notwendig ist, um diesen Zweck zu erreichen.

 

Für den Verein TERRE DES FEMMES gilt nichts anderes.

 

 

Eike Weißenfels – 12. Oktober 2022 


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Rechtliche Stellungnahme RA des Rumpfvorstands 28. September 2022
2022_09_28 Rechtliche Stellungnahme RA T
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